„Am Himmel die Flüsse“ – Eine literarische Strömung durch Zeit, Schmerz und Hoffnung

Zuerst: Ich danke dir, Johann, für deine Einladung, Teil von Literatipps zu werden. Die Freude darüber ist noch ganz frisch – so wie das Staunen, das ich beim Lesen meines ersten Buches für diesen Blog empfunden habe. Elif Shafaks Am Himmel die Flüsse war keine einfache Lektüre. Aber eine, die in mir nachhallt. Vielleicht sogar länger als mir lieb ist.


Wer ist Elif Shafak?
Elif Shafak ist eine der bedeutendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur. Geboren in Frankreich, aufgewachsen in der Türkei, schreibt sie auf Englisch und Türkisch. Ihre Romane kreisen oft um Identität, Migration, Erinnerung – und nicht zuletzt um das Frausein in patriarchalen Strukturen. Sie ist politisch, feministisch, laut in einer Welt, die Frauen lieber leise hätte. Ich habe schon einige ihrer Bücher gelesen, aber Am Himmel die Flüsse ist vielleicht ihr bisher ambitioniertestes.


Worum geht es?
In Am Himmel die Flüsse verwebt Shafak auf knapp 600 Seiten drei Geschichten aus unterschiedlichen Jahrhunderten: Die eines osmanischen Miniaturmalers, die einer Exilantin in den 1970ern in Beirut, und die einer Klimaforscherin im heutigen London. Was sie verbindet, ist das Wasser – in seiner Schönheit, Bedrohung, und als Träger von Erinnerung.

Es geht um Flucht, Krieg, Liebe, Umweltzerstörung, koloniale Schuld und die Frage, wie wir in einer zerbrechenden Welt bestehen können. Es ist ein Roman, der sich nicht entschuldigt für seine Wucht. Und auch nicht für seine Längen.


Was ich mochte – und was nicht.
Shafaks Sprache ist reich, poetisch, manchmal fast betörend. Ihre Beschreibungen von Wasser, von Städten, von Seelenzuständen haben mich oft innehalten lassen. Ich musste Sätze zweimal lesen – nicht weil sie unverständlich waren, sondern weil sie so schön waren.

Und doch: Ich bin mit den Figuren nicht warm geworden. Sie waren oft Träger von Ideen mehr als Menschen aus Fleisch und Blut. Vor allem die Klimaforscherin Leila blieb mir seltsam fern, obwohl sie mir inhaltlich am nächsten hätte stehen müssen.

Der Roman will viel – vielleicht zu viel. Manchmal verliert er sich in seinem eigenen Anspruch. Und trotzdem: Ich habe weitergelesen, weil Shafak mich zwingt, zuzuhören. Sie zwingt mich, zu fühlen. Auch dann, wenn ich mich unwohl fühle.


Meine Gedanken beim Lesen.
Es gibt Bücher, die liest man. Und es gibt Bücher, in denen man lebt. Am Himmel die Flüsse ist keins von beiden. Es ist eher ein Fluss, in den man springt – und manchmal will man wieder raus, aber man bleibt doch, weil das Wasser etwas mit einem macht.

Ich habe mich während der Lektüre gefragt, wie wir Geschichten erzählen über das, was uns überlebt: das Wasser, die Gewalt, die Geschichte. Wie erzählen wir über Hoffnung, wenn alles zerbricht? Shafak antwortet nicht direkt – aber sie stellt die richtigen Fragen.


Empfehlung. Lesen? Ja. Aber…
Ich empfehle das Buch. Unbedingt. Vor allem, wenn du Geduld mitbringst, Lust auf komplexe Strukturen hast und keine Angst vor schwierigen Themen. Es ist kein Wohlfühlroman, aber ein notwendiger.

Leser*innen mit Sensibilität für Themen wie Kriegstraumata, Verlust und Umweltzerstörung sollten wissen: Das Buch geht tief. Und manchmal schmerzt es.

Aber ist das nicht genau das, was Literatur darf – und muss?


Zum Schluss.
Ich bin dankbar, dass dies mein Einstieg in Literatipps war. Dankbar für das Buch, das mich geformt hat. Und dankbar für dich, Leser*in, wenn du bis hierhin gelesen hast. Vielleicht reden wir bald über das nächste Buch. Ich freu mich drauf.

– Mara Steinhag

Link: https://amzn.to/4jemo4D